Summa Theologiae

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Summa Theologiae – Prima Secundae

Summa Theologiae – Prima Secundae

Quaestio 62

De virtutibus theologicis

Quaestio 62

Über die theologischen Tugenden
Übersetzt von: Laura Zimmermann

Deinde considerandum est de virtutibus theologicis. Et circa hoc quaeruntur quatuor.

Als nächstes müssen wir uns mit den theologischen Tugenden befassen. Und zu diesem Thema gibt es vier Fragen:

  • Primo, utrum sint aliquae virtutes theologicae.
  • Secundo, utrum virtutes theologicae distinguantur ab intellectualibus et moralibus.
  • Tertio, quot, et quae sint.
  • Quarto, de ordine earum.
  1. Gibt es theologische Tugenden?
  2. Sind die theologischen Tugenden von den intellektuellen und moralischen Tugenden zu unterscheiden?
  3. Wie viele theologische Tugenden gibt es und um welche Tugenden handelt es sich?
  4. Wie ist die Reihenfolge der theologischen Tugenden?

Articulus 1

Utrum sint aliquae virtutes theologicae

Artikel 1

Gibt es theologische Tugenden?

Ad primum sic proceditur. Videtur quod non sint aliquae virtutes theologicae. Ut enim dicitur in VII Physic., virtus est dispositio perfecti ad optimum, dico autem perfectum, quod est dispositum secundum naturam. Sed id quod est divinum, est supra naturam hominis. Ergo virtutes theologicae non sunt virtutes hominis.

1. Es scheint so, dass es keine theologischen Tugenden gibt. Denn im siebten Buch der Physik (Phys. VII 3, 246a13) heißt es: Eine Tugend ist eine Ausrichtung des Vollkommenen auf das Beste, wobei ich mit „vollkommen“ meine, dass es seiner Natur gemäß ausgerichtet ist. Aber das Göttliche liegt jenseits der Natur des Menschen. Daher sind die theologischen Tugenden nicht die Tugenden eines Menschen.

Praeterea, virtutes theologicae dicuntur quasi virtutes divinae. Sed virtutes divinae sunt exemplares, ut dictum est, quae quidem non sunt in nobis, sed in Deo. Ergo virtutes theologicae non sunt virtutes hominis.

2. Die theologischen Tugenden sind sozusagen die göttlichen Tugenden. Aber wie bereits erklärt wurde (q61a5), sind die göttlichen Tugenden urbildliche Tugenden, die, wie man sagt, nicht in uns, sondern in Gott existieren. Daher sind die theologischen Tugenden keine Tugenden des Menschen.

Praeterea, virtutes theologicae dicuntur quibus ordinamur in Deum, qui est primum principium et ultimus finis rerum. Sed homo ex ipsa natura rationis et voluntatis, habet ordinem ad primum principium et ultimum finem. Non ergo requiruntur aliqui habitus virtutum theologicarum, quibus ratio et voluntas ordinetur in Deum.

3. Die theologischen Tugenden sind Tugenden, durch die wir auf Gott ausgerichtet werden, der das erste Prinzip und das letzte Ziel der Dinge ist. Der Mensch ist aber durch die Natur seiner Vernunft und seines Willens selbst auf das erste Prinzip und das letzte Ziel ausgerichtet. Daher bedarf es keiner Habitus der theologischen Tugenden, durch die die Vernunft und der Wille auf Gott ausgerichtet werden.

Sed contra est quod praecepta legis sunt de actibus virtutum. Sed de actibus fidei, spei et caritatis dantur praecepta in lege divina, dicitur enim Eccli. II, qui timetis Deum, credite illi; item, sperate in illum; item, diligite illum. Ergo fides, spes et caritas sunt virtutes in Deum ordinantes. Sunt ergo theologicae.

Dagegen: Die Gebote des Gesetzes haben mit den Handlungen der Tugenden zu tun. Aber die Gebote, die mit Handlungen des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe [als theologische Tugend] zu tun haben, werden im göttlichen Gesetz gegeben. So heißt es nämlich in Koh 2 (Koh 2,8 sqq.): Ihr, die ihr Gott fürchtet, glaubt an ihn, und weiter: Hofft auf ihn, und weiter: Liebt ihn. Glaube, Hoffnung und Liebe sind also Tugenden, die auf Gott ausrichten. Sie sind daher theologische Tugenden.

Respondeo dicendum quod per virtutem perficitur homo ad actus quibus in beatitudinem ordinatur, ut ex supradictis patet. Est autem duplex hominis beatitudo sive felicitas, ut supra dictum est. Una quidem proportionata humanae naturae, ad quam scilicet homo pervenire potest per principia suae naturae. Alia autem est beatitudo naturam hominis excedens, ad quam homo sola divina virtute pervenire potest, secundum quandam divinitatis participationem; secundum quod dicitur II Petr. I, quod per Christum facti sumus consortes divinae naturae. Et quia huiusmodi beatitudo proportionem humanae naturae excedit, principia naturalia hominis, ex quibus procedit ad bene agendum secundum suam proportionem, non sufficiunt ad ordinandum hominem in beatitudinem praedictam. Unde oportet quod superaddantur homini divinitus aliqua principia, per quae ita ordinetur ad beatitudinem supernaturalem, sicut per principia naturalia ordinatur ad finem connaturalem, non tamen absque adiutorio divino. Et huiusmodi principia virtutes dicuntur theologicae, tum quia habent Deum pro obiecto, inquantum per eas recte ordinamur in Deum; tum quia a solo Deo nobis infunduntur; tum quia sola divina revelatione, in sacra Scriptura, huiusmodi virtutes traduntur.

Antwort: Wie aus dem bereits Gesagten (q5a7) hervorgeht, wird der Mensch durch die Tugend zu den Handlungen vervollkommnet, durch die er auf die Glückseligkeit hingeordnet wird. Aber wie bereits (q5a5) erklärt wurde, ist die Glückseligkeit oder das Glück des Menschen zweifach. Die eine Art der Glückseligkeit ist der menschlichen Natur angemessen, nämlich die Glückseligkeit, die der Mensch durch die Prinzipien seiner eigenen Natur erreichen kann. Die andere Art ist eine Glückseligkeit, die über die menschliche Natur hinausgeht und die der Mensch nur durch Gottes Kraft erlangen kann, und zwar durch eine gewisse Teilhabe an der Göttlichkeit: gemäß 2 Petr 1 (2 Petr 1,4), wo es heißt, dass wir durch Christus der göttlichen Natur teilhaftig geworden sind. Da eine solche Art der Glückseligkeit über das Verhältnis zur menschlichen Natur hinausgeht, reichen die natürlichen Prinzipien des Menschen, aufgrund derer er entsprechend seiner Natur zum guten Handeln fortschreitet, nicht aus, um ihn zur besagten Glückseligkeit zu führen. Daher müssen dem Menschen auf göttliche Weise gewisse Prinzipien hinzugefügt werden, durch die er so auf eine übernatürliche Glückseligkeit ausgerichtet wird, so wie er durch seine natürlichen Prinzipien auf sein natürliches Ziel ausgerichtet wird, wenn auch nicht ohne Gottes Hilfe. Und Prinzipien dieser Art werden theologische Tugenden genannt, nicht nur, weil sie Gott zum Gegenstand haben, insofern wir durch sie richtig auf Gott ausgerichtet werden, sondern auch, weil sie uns allein von Gott eingegeben werden und weil uns solche Tugenden nur durch die göttliche Offenbarung in der Heiligen Schrift übergeben werden.

Ad primum ergo dicendum quod aliqua natura potest attribui alicui rei dupliciter. Uno modo, essentialiter, et sic huiusmodi virtutes theologicae excedunt hominis naturam. Alio modo, participative, sicut lignum ignitum participat naturam ignis, et sic quodammodo fit homo particeps divinae naturae, ut dictum est. Et sic istae virtutes conveniunt homini secundum naturam participatam.

Zu 1: Es gibt zwei Möglichkeiten, wie man einem Ding eine Natur zuschreiben kann. Auf die eine Weise wesentlich und in diesem Sinne gehen derartige theologische Tugenden über die Natur des Menschen hinaus. Auf die zweite Weise durch Teilhabe, so wie ein brennendes Stück Holz an der Natur des Feuers teilhat; und gleichsam auf diese Weise wird der Mensch, wie schon gesagt, der göttlichen Natur teilhaftig. Und so entsprechen die besagten theologischen Tugenden dem Menschen entsprechend seiner teilhabenden Natur.

Ad secundum dicendum quod istae virtutes non dicuntur divinae, sicut quibus Deus sit virtuosus, sed sicut quibus nos efficimur virtuosi a Deo, et in ordine ad Deum. Unde non sunt exemplares, sed exemplatae.

Zu 2: Die betreffenden Tugenden werden nicht göttliche Tugenden in dem Sinne genannt, dass Gott durch sie tugendhaft ist, sondern dass wir durch sie von Gott tugendhaft gemacht und auf Gott ausgerichtet werden. Es handelt sich also nicht um urbildliche Tugenden, sondern um nachbildende Tugenden.

Ad tertium dicendum quod ad Deum naturaliter ratio et voluntas ordinatur prout est naturae principium et finis, secundum tamen proportionem naturae. Sed ad ipsum secundum quod est obiectum beatitudinis supernaturalis, ratio et voluntas secundum suam naturam non ordinantur sufficienter.

Zu 3: Die Vernunft und der Wille [des Menschen] sind von Natur aus auf Gott ausgerichtet, insofern Gott das Prinzip und das Ziel der Natur ist, jedoch in einer Weise, die der Natur entspricht. Aber insofern er der Gegenstand der übernatürlichen Seligkeit ist, sind die Vernunft und der Wille des Menschen von Natur aus nicht ausreichend auf Gott ausgerichtet.

Articulus 2

Utrum virtutes theologicae distinguantur a moralibus et intellectualibus

Artikel 2

Sind die theologischen Tugenden von den moralischen und intellektuellen Tugenden zu unterscheiden?

Ad secundum sic proceditur. Videtur quod virtutes theologicae non distinguantur a moralibus et intellectualibus. Virtutes enim theologicae, si sunt in anima humana, oportet quod perficiant ipsam vel secundum partem intellectivam vel secundum partem appetitivam. Sed virtutes quae perficiunt partem intellectivam, dicuntur intellectuales, virtutes autem quae perficiunt partem appetitivam, sunt morales. Ergo virtutes theologicae non distinguuntur a virtutibus moralibus et intellectualibus.

1. Es scheint so, dass die theologischen Tugenden nicht von den moralischen und intellektuellen Tugenden zu unterscheiden sind. Wenn die theologischen Tugenden nämlich in einer menschlichen Seele sind, müssen sie diese entweder in Bezug auf ihren verstandesmäßigen Teil oder in Bezug auf ihren strebenden Teil vervollkommnen. Aber die Tugenden, die den verstandesmäßigen Teil vervollkommnen, werden intellektuelle Tugenden genannt, während es sich bei den Tugenden, die den strebenden Teil vervollkommnen, um moralische Tugenden handelt. Daher unterscheiden sich die theologischen Tugenden nicht von den moralischen und intellektuellen Tugenden.

Praeterea, virtutes theologicae dicuntur quae ordinant nos ad Deum. Sed inter intellectuales virtutes est aliqua quae ordinat nos ad Deum, scilicet sapientia, quae est de divinis, utpote causam altissimam considerans. Ergo virtutes theologicae ab intellectualibus virtutibus non distinguuntur.

2. Die Tugenden, die als theologisch bezeichnet werden, ordnen uns auf Gott hin. Aber unter den intellektuellen Tugenden gibt es eine, die uns auf Gott hinordnet, nämlich die Weisheit, die mit dem Göttlichen zu tun hat, da sie die höchste Ursache betrachtet. Also unterscheiden sich die theologischen Tugenden nicht von den intellektuellen Tugenden.

Praeterea, Augustinus, in libro de moribus Eccles., manifestat in quatuor virtutibus cardinalibus quod sunt ordo amoris. Sed amor est caritas, quae ponitur virtus theologica. Ergo virtutes morales non distinguuntur a theologicis.

3. Im Buch Über die Sitten der Katholischen Kirche und die Sitten der Manichäer (De Moribus Eccles. I, 15) zeigt Augustinus, dass die vier Kardinaltugenden die Ordnung der Liebe sind. Die Liebe [als moralische Tugend] aber ist die Liebe, von der er behauptet, sie sei eine theologische Tugend. Daher unterscheiden sich die moralischen Tugenden nicht von den theologischen Tugenden.

Sed contra, id quod est supra naturam hominis, distinguitur ab eo quod est secundum naturam hominis. Sed virtutes theologicae sunt super naturam hominis, cui secundum naturam conveniunt virtutes intellectuales et morales, ut ex supradictis patet. Ergo distinguuntur ab invicem.

Dagegen: Was jenseits der Natur des Menschen liegt, unterscheidet sich von dem, was der Natur des Menschen gemäß ist. Die theologischen Tugenden aber liegen jenseits der Natur des Menschen, während ihr die intellektuellen und moralischen Tugenden, wie es aus dem bereits Gesagten (q58a3) hervorgeht, natürlicherweise entsprechen. Daher sind sie voneinander verschieden.

Respondeo dicendum quod, sicut supra dictum est, habitus specie distinguuntur secundum formalem differentiam obiectorum. Obiectum autem theologicarum virtutum est ipse Deus, qui est ultimus rerum finis, prout nostrae rationis cognitionem excedit. Obiectum autem virtutum intellectualium et moralium est aliquid quod humana ratione comprehendi potest. Unde virtutes theologicae specie distinguuntur a moralibus et intellectualibus.

Antwort: Wie bereits (q54a2) dargelegt wurde, unterscheiden sich die Habitus ihrer Art nach gemäß dem formalen Unterschied zwischen ihren Gegenständen. Der Gegenstand der theologischen Tugenden aber ist Gott selbst, das letzte Ziel der Dinge, insofern er die Erkenntnis unserer Vernunft übersteigt. Im Gegensatz dazu ist der Gegenstand der intellektuellen und moralischen Tugenden etwas, das von der menschlichen Vernunft erfasst werden kann. Daher unterscheiden sich die theologischen Tugenden ihrer Art nach von den moralischen und intellektuellen Tugenden.

Ad primum ergo dicendum quod virtutes intellectuales et morales perficiunt intellectum et appetitum hominis secundum proportionem naturae humanae, sed theologicae supernaturaliter.

Zu 1: Die intellektuellen und moralischen Tugenden vervollkommnen den Verstand und das Strebevermögen des Menschen in einer der menschlichen Natur entsprechenden Weise, die theologischen Tugenden hingegen auf übernatürliche Weise.

Ad secundum dicendum quod sapientia quae a philosopho ponitur intellectualis virtus, considerat divina secundum quod sunt investigabilia ratione humana. Sed theologica virtus est circa ea secundum quod rationem humanam excedunt.

Zu 2: Die Weisheit, von der der Philosoph (NE VI 3, 1139b17) behauptet, sie sei eine intellektuelle Tugend, betrachtet das Göttliche, insofern es von der menschlichen Vernunft erforscht werden kann. Eine theologische Tugend hingegen hat mit dem Göttlichen zu tun, insoweit es die menschliche Vernunft übersteigt.

Ad tertium dicendum quod, licet caritas sit amor, non tamen omnis amor est caritas. Cum ergo dicitur quod omnis virtus est ordo amoris, potest intelligi vel de amore communiter dicto; vel de amore caritatis. Si de amore communiter dicto, sic dicitur quaelibet virtus esse ordo amoris, inquantum ad quamlibet cardinalium virtutum requiritur ordinata affectio, omnis autem affectionis radix et principium est amor, ut supra dictum est. Si autem intelligatur de amore caritatis, non datur per hoc intelligi quod quaelibet alia virtus essentialiter sit caritas, sed quod omnes aliae virtutes aliqualiter a caritate dependeant, ut infra patebit.

Zu 3: Wenn auch die Liebe [als theologische Tugend] Liebe [im Sinne einer moralischen Tugend] ist, so ist nicht jede Art von [dieser] Liebe auch [jene] Liebe. Wenn also behauptet wird, jede Tugend sei die Ordnung der Liebe, so kann dies entweder im Hinblick auf die Liebe [als moralische Tugend] im allgemeinen oder in Hinblick auf die Liebe [im Sinne einer theologischen Tugend] gelten. Wenn es sich um die Liebe im Allgemeinen handelt, dann sagt man, dass jede beliebige Tugend die Ordnung der Liebe in dem Sinne sei, dass für jede der Kardinaltugenden eine geordnete Zuneigung erforderlich ist, wobei, wie bereits (q27a4, q28a6ad2, q41a2ad1, q56a3ad1) erläutert, die Liebe die Wurzel und das Prinzip jeder Zuneigung ist. Wenn dagegen von der Liebe nach Art der Liebe [als einer theologischen Tugend] die Rede ist, dann heißt das nicht, dass jede andere Tugend wesentlich Liebe [im Sinne einer theologischen Tugend] ist, sondern dass alle anderen Tugenden in irgendeiner Weise von [dieser] Liebe abhängen, was späterhin deutlich wird (II-II q23a7).

Articulus 3

Utrum convenienter ponantur tres virtutes theologicae, fides, spes et caritas

Artikel 3

Ist es angemessen drei theologische Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, anzunehmen?

Ad tertium sic proceditur. Videtur quod inconvenienter ponantur tres virtutes theologicae, fides, spes et caritas. Virtutes enim theologicae se habent in ordine ad beatitudinem divinam, sicut inclinatio naturae ad finem connaturalem. Sed inter virtutes ordinatas ad finem connaturalem, ponitur una sola virtus naturalis, scilicet intellectus principiorum. Ergo debet poni una sola virtus theologica.

1. Es scheint unangemessen zu sein, drei theologische Tugenden, Glaube, Hoffnung und Liebe, anzunehmen. Denn die theologischen Tugenden stehen in der gleichen Beziehung zur göttlichen Glückseligkeit, wie die Neigung der Natur zum natürlichen Ziel steht. Aber unter den Tugenden, die auf ein natürliches Ziel ausgerichtet sind, nimmt man nur eine natürliche Tugend an, nämlich das Verstehen der Prinzipien. Daher sollte auch nur eine einzige theologische Tugend angenommen werden.

Praeterea, theologicae virtutes sunt perfectiores virtutibus intellectualibus et moralibus. Sed inter intellectuales virtutes fides non ponitur, sed est aliquid minus virtute, cum sit cognitio imperfecta. Similiter etiam inter virtutes morales non ponitur spes, sed est aliquid minus virtute, cum sit passio. Ergo multo minus debent poni virtutes theologicae.

2. Die theologischen Tugenden sind vollkommener als die intellektuellen und moralischen Tugenden. Aber den Glauben zählt man nicht zu den intellektuellen Tugenden, sondern er ist etwas weniger als eine Tugend, denn er ist eine unvollkommene Art der Erkenntnis. Ebenso zählt man auch die Hoffnung nicht zu den moralischen Tugenden, sondern sie ist etwas weniger als eine Tugend, da sie eine Leidenschaft ist. Daher sollten erst recht Glaube und Hoffnung nicht als theologische Tugenden angenommen werden.

Praeterea, virtutes theologicae ordinant animam hominis ad Deum. Sed ad Deum non potest anima hominis ordinari nisi per intellectivam partem, in qua est intellectus et voluntas. Ergo non debent esse nisi duae virtutes theologicae, una quae perficiat intellectum, alia quae perficiat voluntatem.

3. Die theologischen Tugenden richten die Seele des Menschen auf Gott aus. Aber die Seele des Menschen kann nur durch ihren verstandesmäßigen Teil, in dem der Verstand und der Wille existieren, auf Gott ausgerichtet werden. Daher sollte es nur zwei theologische Tugenden geben, von denen die eine den Verstand und die andere den Willen vervollkommnet.

Sed contra est quod apostolus dicit, I ad Cor. XIII, nunc autem manent fides, spes, caritas, tria haec.

Dagegen: Der Apostel sagt (1 Kor 13): Es bleiben aber diese drei: Glaube, Hoffnung und Liebe.

Respondeo dicendum quod, sicut supra dictum est, virtutes theologicae hoc modo ordinant hominem ad beatitudinem supernaturalem, sicut per naturalem inclinationem ordinatur homo in finem sibi connaturalem. Hoc autem contingit secundum duo. Primo quidem, secundum rationem vel intellectum, inquantum continet prima principia universalia cognita nobis per naturale lumen intellectus, ex quibus procedit ratio tam in speculandis quam in agendis. Secundo, per rectitudinem voluntatis naturaliter tendentis in bonum rationis.

Antwort: Wie bereits (a1) dargelegt wurde, ordnen die theologischen Tugenden den Menschen auf die übernatürliche Glückseligkeit hin, so wie der Mensch durch seine natürliche Neigung auf das ihm natürliche Ziel hingeordnet wird. Dies aber geschieht in zweierlei Hinsicht: Erstens in Hinblick auf die Vernunft beziehungsweise den Verstand, insofern er die ersten allgemeinen Prinzipien enthält, die uns durch das natürliche Licht des Verstandes bekannt sind und von denen aus die Vernunft beim Nachdenken wie auch beim Handeln voranschreitet. Zweitens durch den rechten Willen, der natürlicherweise auf das Gut der Vernunft hinstrebt.

Sed haec duo deficiunt ab ordine beatitudinis supernaturalis; secundum illud I ad Cor. II, oculus non vidit, et auris non audivit, et in cor hominis non ascendit, quae praeparavit Deus diligentibus se. Unde oportuit quod quantum ad utrumque, aliquid homini supernaturaliter adderetur, ad ordinandum ipsum in finem supernaturalem. Et primo quidem, quantum ad intellectum, adduntur homini quaedam principia supernaturalia, quae divino lumine capiuntur, et haec sunt credibilia, de quibus est fides. Secundo vero, voluntas ordinatur in illum finem et quantum ad motum intentionis, in ipsum tendentem sicut in id quod est possibile consequi, quod pertinet ad spem, et quantum ad unionem quandam spiritualem, per quam quodammodo transformatur in illum finem, quod fit per caritatem. Appetitus enim uniuscuiusque rei naturaliter movetur et tendit in finem sibi connaturalem, et iste motus provenit ex quadam conformitate rei ad suum finem.

Diese beiden Dinge bleiben jedoch hinter der Ordnung der übernatürlichen Glückseligkeit zurück nach 1 Kor 2 (1 Kor 2,9): Kein Auge hat gesehen und kein Ohr hat gehört und in keines Menschen Herz ist gedrungen, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben. In beiderlei Hinsicht muss also dem Menschen auf übernatürliche Weise etwas hinzugegeben werden, um ihn auf sein übernatürliches Ziel hinzuordnen. Was erstens den Verstand betrifft, so werden dem Menschen gewisse übernatürliche Prinzipien hinzugefügt, die von einem göttlichen Licht erfasst werden, und das sind die Glaubensinhalte, von denen der Glaube handelt. Zweitens ist der Wille auf jenes Ziel ausgerichtet, und zwar sowohl in Bezug auf die Bewegung der Absicht, die sich auf das Ziel als etwas Mögliches, das zu erreichen ist, bezieht, und dies betrifft die Hoffnung, als auch in Bezug auf eine bestimmte geistige Vereinigung, durch die der Wille in gewisser Weise in jenes Ziel verwandelt wird, und dies geschieht durch die Liebe. Denn das Strebevermögen eines jeden Dinges bewegt sich nämlich und neigt sich natürlicherweise dem ihm natürlichen Ziel zu und diese Bewegung ergibt sich daraus, dass das Ding gewissermaßen seinem Ziel angepasst ist.

Ad primum ergo dicendum quod intellectus indiget speciebus intelligibilibus, per quas intelligat, et ideo oportet quod in eo ponatur aliquis habitus naturalis superadditus potentiae. Sed ipsa natura voluntatis sufficit ad naturalem ordinem in finem, sive quantum ad intentionem finis, sive quantum ad conformitatem ad ipsum. Sed in ordine ad ea quae supra naturam sunt, ad nihil horum sufficit natura potentiae. Et ideo oportet fieri superadditionem habitus supernaturalis quantum ad utrumque.

Zu 1: Der Verstand braucht Erkenntnisbilder, durch die er versteht, und so muss man dem Verstand einen natürlichen Habitus zuschreiben, der seinem Vermögen hinzugefügt wird. Hingegen genügt die Natur des Willens für dessen natürliche Ausrichtung auf ein Ziel, sei es hinsichtlich der Absicht in Bezug auf das Ziel oder sei es hinsichtlich der Angepasstheit an das Ziel. In Bezug auf das, was jenseits seiner Natur liegt, reicht die Natur dieses Vermögens jedoch für keines dieser Dinge aus. Und so muss für jedes dieser Dinge ein übernatürlicher Habitus hinzugefügt werden.

Ad secundum dicendum quod fides et spes imperfectionem quandam important, quia fides est de his quae non videntur, et spes de his quae non habentur. Unde habere fidem et spem de his quae subduntur humanae potestati, deficit a ratione virtutis. Sed habere fidem et spem de his quae sunt supra facultatem naturae humanae, excedit omnem virtutem homini proportionatam; secundum illud I ad Cor. I, quod infirmum est Dei, fortius est hominibus.

Zu 2: Glaube und Hoffnung implizieren eine gewisse Unvollkommenheit; denn der Glaube bezieht sich auf das, was man nicht sieht, und die Hoffnung auf das, was man nicht hat. Glauben und Hoffen in Bezug auf das zu haben, was der menschlichen Macht unterworfen ist, entspricht daher nicht dem Begriff der Tugend. Glaube und Hoffnung in Bezug auf das zu haben, was jenseits der menschlichen Fähigkeit liegt, übersteigt dagegen jede dem Menschen angemessene Tugend, wie es in 1 Kor 1 (1 Kor 1,25) heißt: Das Schwache an Gott ist stärker als die Menschen.

Ad tertium dicendum quod ad appetitum duo pertinent, scilicet motus in finem; et conformatio ad finem per amorem. Et sic oportet quod in appetitu humano duae virtutes theologicae ponantur, scilicet spes et caritas.

Zu 3: Es gibt zwei Dinge, die zum Streben gehören, nämlich die Bewegung auf das Ziel hin und die Angepasstheit an das Ziel durch die Liebe. Daher ist es notwendig, zwei theologische Tugenden im menschlichen Streben anzunehmen, nämlich die Hoffnung und die Liebe.

Articulus 4

Utrum fides sit prior spe, et spes prior caritate

Artikel 4

Ist der Glaube vor der Hoffnung und die Hoffnung vor der Liebe?

Ad quartum sic proceditur. Videtur quod non sit hic ordo theologicarum virtutum, quod fides sit prior spe, et spes prior caritate. Radix enim est prior eo quod est ex radice. Sed caritas est radix omnium virtutum; secundum illud ad Ephes. III, in caritate radicati et fundati. Ergo caritas est prior aliis.

1. Es scheint so, dass die Reihenfolge der theologischen Tugenden nicht so ist, dass der Glaube vor der Hoffnung steht und die Hoffnung vor der Liebe. Die Wurzel geht dem voraus, was der Wurzel entstammt. Die Liebe aber ist die Wurzel aller Tugenden nach Eph 3 (Eph 3,17): in der Liebe verwurzelt und fest gegründet. Daher steht die Liebe vor den anderen Tugenden.

Praeterea, Augustinus dicit, in I de Doct. Christ., non potest aliquis diligere quod esse non crediderit. Porro si credit et diligit, bene agendo efficit ut etiam speret. Ergo videtur quod fides praecedat caritatem, et caritas spem.

2. Im ersten Buch Über die christliche Lehre (De Doct. Christ. I, 37) sagt Augustinus: Man kann das nicht lieben, an dessen Sein man nicht glaubt. Wenn man aber glaubt und liebt, so gelangt man durch sein gutes Handeln dazu, dass man auch hofft. Es scheint also, dass der Glaube der Liebe vorausgeht und die Liebe der Hoffnung.

Praeterea, amor est principium omnis affectionis, ut supra dictum est. Sed spes nominat quandam affectionem; est enim quaedam passio, ut supra dictum est. Ergo caritas, quae est amor, est prior spe.

3. Wie bereits (a2) erklärt wurde, ist die Liebe das Prinzip jeder Zuneigung. Die Hoffnung aber bezeichnet eine bestimmte Neigung, denn sie ist, wie bereits (q25a2) dargelegt, eine Leidenschaft. Daher geht die Liebe [im Sinne einer theologischen Tugend], die eine Liebe ist, der Hoffnung voraus.

Sed contra est ordo quo apostolus ista enumerat, dicens, nunc autem manent fides, spes, caritas.

Dagegen: Im Gegensatz dazu steht aber die Reihenfolge, in der der Apostel (1 Kor 13,13) sie aufzählt: Es bleiben aber diese drei: Glaube, Hoffnung und Liebe.

Respondeo dicendum quod duplex est ordo, scilicet generationis, et perfectionis. Ordine quidem generationis, quo materia est prior forma, et imperfectum perfecto, in uno et eodem; fides praecedit spem, et spes caritatem, secundum actus (nam habitus simul infunduntur). Non enim potest in aliquid motus appetitivus tendere vel sperando vel amando, nisi quod est apprehensum sensu aut intellectu. Per fidem autem apprehendit intellectus ea quae sperat et amat. Unde oportet quod, ordine generationis, fides praecedat spem et caritatem. Similiter autem ex hoc homo aliquid amat, quod apprehendit illud ut bonum suum. Per hoc autem quod homo ab aliquo sperat se bonum consequi posse, reputat ipsum in quo spem habet, quoddam bonum suum. Unde ex hoc ipso quod homo sperat de aliquo, procedit ad amandum ipsum. Et sic, ordine generationis, secundum actus, spes praecedit caritatem.

Antwort: Es gibt zwei Arten von Ordnung, nämlich eine Ordnung der Entstehung und eine Ordnung der Vollkommenheit. In der Ordnung der Entstehung, nach der die Materie der Form und das Unvollkommene dem Vollkommenem in ein und demselben Ding vorausgeht, geht der Glaube der Hoffnung und die Hoffnung der Liebe voraus, was ihre Akte betrifft (denn die Habitus werden gleichzeitig eingeflößt). Die strebende Bewegung kann sich nämlich nicht auf etwas richten, durch hoffen und lieben, wenn es nicht von den Sinnen oder dem Verstand erfasst wird. Der Verstand aber erfasst das, was er hofft und liebt, durch den Glauben. Daher muss der Glaube in der Ordnung der Entstehung der Hoffnung und der Liebe vorausgehen. Ebenso liebt der Mensch etwas dadurch, dass er es als sein Gut begreift. Aber dadurch, dass der Mensch hofft, von jemandem ein Gut zu bekommen, betrachtet er denjenigen, auf den er hofft, als sein bestimmtes Gut. Aus der Tatsache, dass er seine Hoffnung auf jemanden setzt, geht er also dazu über, ihn zu lieben. Und so geht die Hoffnung der Liebe gemäß ihrer Akte in der Reihenfolge der Entstehung voraus.

Ordine vero perfectionis, caritas praecedit fidem et spem, eo quod tam fides quam spes per caritatem formatur, et perfectionem virtutis acquirit. Sic enim caritas est mater omnium virtutum et radix, inquantum est omnium virtutum forma, ut infra dicetur.

Dagegen geht die Liebe in der Reihenfolge der Vollkommenheit dem Glauben und der Hoffnung voraus, weil sowohl der Glaube als auch die Hoffnung von der Liebe gebildet sind und durch die Liebe die Vollkommenheit der Tugend erlangen. Denn die Liebe ist, wie späterhin (II-II q23 aa7-8) erläutert wird, die Mutter und Wurzel aller Tugenden in dem Sinne, dass sie die Form aller Tugenden ist.

Et per hoc patet responsio ad primum.

Zu 1: Die Antwort auf den ersten Einwand ergibt sich aus dem soeben Gesagten.

Ad secundum dicendum quod Augustinus loquitur de spe qua quis sperat ex meritis iam habitis se ad beatitudinem perventurum, quod est spei formatae, quae sequitur caritatem. Potest autem aliquis sperare antequam habeat caritatem, non ex meritis quae iam habet, sed quae sperat se habiturum.

Zu 2: Augustinus spricht von der Hoffnung, durch die jemand hofft aufgrund seiner Verdienste, die er bereits besitzt, zur Glückseligkeit zu gelangen. Das gehört zur gebildeten Hoffnung, die der Liebe folgt. Jemand kann jedoch Hoffnung haben, bevor er die Liebe hat, und zwar nicht aufgrund von Verdiensten, die er zu erhalten hofft, sondern aufgrund von Verdiensten, von denen er hofft, dass er sie haben wird.

Ad tertium dicendum quod, sicut supra dictum est, cum de passionibus ageretur, spes respicit duo. Unum quidem sicut principale obiectum, scilicet bonum quod speratur. Et respectu huius, semper amor praecedit spem, nunquam enim speratur aliquod bonum nisi desideratum et amatum. Respicit etiam spes illum a quo se sperat posse consequi bonum. Et respectu huius, primo quidem spes praecedit amorem; quamvis postea ex ipso amore spes augeatur. Per hoc enim quod aliquis reputat per aliquem se posse consequi aliquod bonum, incipit amare ipsum, et ex hoc ipso quod ipsum amat, postea fortius de eo sperat.

Zu 3: Wie bereits (q40a7) in der Abhandlung zu den Leidenschaften erläutert wurde, berücksichtigt die Hoffnung zwei Dinge: Einmal nämlich gleichsam ihren Hauptgegenstand, nämlich das erhoffte Gut. Und in dieser Hinsicht geht die Liebe immer der Hoffnung voraus; denn ein Gut wird nie erhofft, wenn es nicht ersehnt und geliebt wird. Die Hoffnung berücksichtigt auch denjenigen, von dem der Mensch hofft, dass er das Gut erlangen kann. Und in dieser Hinsicht geht die Hoffnung zunächst der Liebe voraus, auch wenn danach die Hoffnung durch die Liebe selbst verstärkt wird. Denn dadurch, dass der Mensch denkt, dass er durch einen anderen etwas Gutes erlangen kann, beginnt er ihn zu lieben, und aus der Tatsache, dass er ihn liebt, setzt er nachher seine Hoffnung noch stärker auf ihn.

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